Angststörungen und der Umgang mit der Angst

Angststörungen bewältigen

Strategien für den Umgang mit der Angst

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Angststörungen und der Umgang mit der Angst

Psychologische und körperliche Erscheinungsformen der Angst in der menschlichen Existenz

Angst und Ängstlichkeit in ihren zum Teil sehr unterschiedlichen psychologischen und körperlichen Erscheinungsformen müssen als Ausdruck der Grundbedingungen unserer menschlichen Existenz, d.h. von personalen Lebewesen mit organismischen, seelischen und geistigen Aspekten, verstanden werden. Von den evolutionsbiologischen Vorteilen einer Furcht vor Spinnen oder Schlangen (Phobien), über die psychobiologischen Anpassungsleistungen unseres Organismus an akuten und chronischen Stress (Fight- or Flight-Reaktion und Burnout-Syndrom), bis hin zu den psychoanalytischen und anthropologischen Konzepten von Angst sowie existenzphilosophischen Überlegungen zur angstvollen Vereinzelung des zu sich selbst aufgeforderten Daseins, ist das weite Feld der Angst-Theorien von vielen Autorinnen¹ der letzten Jahrzehnte abgesteckt worden. Hier sollen nun einige allgemeine Überlegungen folgen, die für unseren klinischen Alltag von praktischer Relevanz sind.

¹ Siehe beispielsweise dazu A. Ebrecht-Laermann: Angst, Psychosozial-Verlag, Gießen (2014)

Was sind Angststörungen und wie beeinflussen sie das tägliche Leben?

Was sind Angststörungen und wie beeinflussen sie das tägliche Leben?

Bei der klinischen Differentialdiagnostik von Angststörungen wird in der Regel zwischen den Phobien (Furcht vor etwas Bestimmtem) und der generalisierten Angststörung (Angst vor Allem und Nichts) unterschieden. Im zeitlichen Verlauf wird bei der Diagnose einer Panikstörung (mit oder ohne Furcht vor öffentlichen Plätzen und Menschen, der sog. Agoraphobie) davon ausgegangen, dass es symptomfreie Intervalle und panikartige Zuspitzungen von Ängsten und Körperreaktionen gibt. Bei der generalisierten Angststörung tritt das Angsterleben mit einer ständigen Sorge und innerer Anspannung dauerhaft auf. Diese Sorgen und Ängste können sich in bestimmten Fällen vorrangig auf körper- und gesundheitsbezogene Themen beziehen, sodass viele verschiedene Schul- und Alternativmediziner aufgesucht und aufwendige Diagnostik- und Therapiemaßnahmen in Anspruch genommen werden.

Somatoforme Störung und akute Ängste

Dahingehend muss klinisch an das Vorliegen einer somatoformen Störung gedacht werden, wobei wir nicht davon ausgehen, dass nicht erklärbare körperliche Beschwerden eingebildet oder simuliert werden, sondern mit einem hohen subjektiven Leidensdruck einhergehen, die einer sorgfältigen biperspektivischen Simultandiagnostik und Therapie bedürfen, die durch entsprechend umfassend ausgebildete Fachärztinnen für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie klinische (Psycho)Therapeutinnen in einem interprofessionellen Setting durchgeführt werden sollte. In seltenen Fällen kann das akute Auftreten irrationaler Ängste auch Ausdruck einer endogenen Psychose sein, die oftmals mit einer veränderten Wahrnehmung, Trugwahrnehmungen (Halluzinationen) einhergehen und von massiven Ängsten bis hin zu ekstatischen Glücksgefühlen geprägt sein kann. In solchen Fällen sollten sich die Betroffenen umgehend in die Notaufnahme einer psychiatrischen Klinik begeben.

Schwindel und psychische Erkrankungen: Eine komplexe Verbindung

In der Neurologie ist Schwindel – nach Kopfschmerzen – die häufigste Beschwerde. Bei etwa 30-50% finden sich (begleitende) psychische Erkrankungen wie Angst- und Panikstörungen (Schmid-Mühlbauer & Lahmann. Das Konzept des Funktionellen Schwindels. Ätiologie, Diagnostik und Therapie. Nervenheilkunde 2023; 42: 44-49).
Bereits Freud schrieb 1895, dass Schwindel eine „hervorragende Stellung in der Symptomengruppe der Angstneurose“ einnehme. Der Schwindelanfall werde „nicht selten von der schlimmsten Art der Angst begleitet, häufig mit Herz- und Atembeschwerden kombiniert“ (vgl. Freud, 1895, In: Ronel & Lahmann. Vertigo und Psyche. Nervenheilkunde 2008; 27: 846-852).

Wie kann man Angststörungen erkennen und diagnostizieren lassen?

Bei der biperspektivischen Simultandiagnostik von Angststörungen ist es zunächst erforderlich eine ausführliche Krankengeschichte (Anamnese) zu erheben, die sowohl biomedizinische als auch psychosoziale Aspekte sowie die Beschwerdeentwicklung vor und nach dem Symptombeginn berücksichtigt. Besonders relevant sind die Umstände des erstmaligen Auftretens der Angstsymptome, die häufig mit typischen psychovegetativen Begleiterscheinungen (Schwitzen, Herzrasen, schnellere Atmung bis hin zur Hyperventilation) einhergehen. Die Auslösesituation in der jeweiligen Lebenssituation der betreffenden Person kann beispielsweise durch einen bedeutsamen Konflikt einer Versuchungs-/Versagung-Situation oder zwischenmenschliche Konflikte gekennzeichnet sein.

Es können aber z.B. auch hormonelle Veränderungen bei Frauen (Schwangerschaft, Wochenbett, Wechseljahre) oder Schilddrüsenerkrankungen eine Rolle spielen, sodass die Resilienz gegenüber Stressbelastungen geringer ausfällt. Phasenspezifische Herausforderungen können in jedem Lebensalter zu Krisen führen (Erik H. Erikson), die möglicherweise als Grenzsituation (Konfrontation mit Tod, Zufall, Kampf, Schuld nach Karl Jaspers) in der eigenen Lebensgeschichte erlebt werden.

Der Umgang mit Angststörungen im Alltag: Tipps und Strategien

Wie unseren spezifischen Phobien und alltäglichen Ängsten beizukommen ist hat uns vor 250 Jahren bereits der 21-jährige Goethe vorgemacht, der als Student unter Höhenangst litt und diese mit Hilfe einer selbst verordneten Expositionstherapie erfolgreich behandelte, indem er in seiner damaligen Universitätsstadt regelmäßig das Straßburger Münster bestieg.

Ich erstieg ganz allein den höchsten Gipfel des Münsterturms, und saß in dem sogenannten Hals, unter dem Knopf oder der Krone , wie man´s nennt, wohl eine Viertelstunde lang, bis ich es wagte wieder heraus in die freie Luft zu treten, wo man eine Platte, die kaum eine Elle [ungefähr 60 cm]  ins Gevierte haben wird, ohne sich sonderlich anhalten zu können, stehend das unendliche Land vor sich sieht, indessen die nächste Umgebungen und Zieraten die Kirche und alles, worauf und worüber man steht verbergen. Es ist völlig als wenn man sich auf einer Montgolfiere [Name des ersten französischen Heißluftballons nach den Gebrüdern Montgolfiére]  in die Luft erhoben sähe. Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig ward, und ich habe nachher bei Bergreisen und geologischen Studien, bei großen Bauten, wo ich mit den Zimmerleuten um die Wette über die freiliegenden Balken und über die Gesimse des Gebäudes herlief, ja in Rom, wo man eben dergleichen Wagstücke ausüben muß, um bedeutende Kunstwerke näher zu sehen, von jenen Vorübungen großen Vorteil gezogen. (Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit (1812), aus Goethes Werken in drei Bänden, Verlag Buch und Zeit, Düsseldorf, Band I, S. 235-236 – [CS])

Behandlungsmöglichkeiten für Angststörungen:
Therapien, Medikamente und alternative Ansätze

Bei klinisch manifesten und die Lebensqualität stark beeinträchtigenden Angsterkrankungen ist es meistens nicht mehr möglich diese in Eigenregie in den Griff zu bekommen. Dann sollten Sie zunächst Ihren Hausarzt aufsuchen, der Sie zu einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einer Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie überweisen sollte, damit eine fachgerechte differentialdiagnostische Einschätzung erfolgen kann. Nach der aktuellen S3-Leitline für Angststörungen gelten als Indikation für eine Behandlung ein „mittlerer bis schwerer Leidensdruck des Patienten“, „psychosoziale Einschränkungen“ sowie „mögliche Komplikationen einer Angsterkrankung (wie Suchterkrankungen u.a.)“. Ziele der Behandlung sind vorranging „Angstsymptome und Vermeidungsverhalten zu reduzieren“, „die Rückfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren“, sowie die Bewegungsfreiheit, soziale Integration, die berufliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität zu verbessern bzw. wiederherzustellen¹.

Psychotherapie und Medikationsoptionen im Fokus

Dazu stehen neben der Konfrontation mit der Angst auslösenden Situation (Expositionstherapie) heutzutage verschiedene psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungsansätze (SSRI/SNRI-Antidepressiva sowie Clomipramin und Pregabalin) zur Verfügung, wobei die Präferenz des Patienten, die Kosten, der Zeitaufwand und etwaige Wartezeiten bei der Auswahl des Verfahrens berücksichtigt werden sollten. Eine große Bedeutung spielt dabei auch die Behandlung sogenannter „komorbider Störungen“, wie z.B. Depressionen oder Suchterkrankungen als Begleiterscheinungen von Angsterkrankungen. Auch die ärztlich (iatrogen) mitverursachte Substanzabhängigkeit von Benzodiazepinen und Z-Substanzen (u.a. Diazepam, Tavor, Zopiclon, Zolpidem) stellt angesichts von Angsterkrankungen ein relevantes Problem in der ambulanten und stationären Versorgung dar. Diese Medikamente sollten nur in begründeten Ausnahmefällen vorrangig als Mittel für akute Situationen betrachtet und sonst nicht angeboten werden, da sie eine Suchtentwicklung begünstigen.

Die Rolle des sozialen Umfeldes

Die Einbeziehung des sozialen Umfeldes und der Angehörigen kann sehr hilfreich sein, wenn es darum geht Verständnis für die Symptome zu schaffen und dazu beizutragen das Vermeidungsverhalten nicht noch zu verstärken, sondern abzubauen und dazu zu ermutigen die Therapien in Anspruch zu nehmen und Medikamente regelmäßig einzunehmen. Dazu ist die Psychoedukation für Patientinnen und der Angehörigen sowie konkrete Hinweise für den Umgang mit Notfallsituationen entscheidend.

Im Rahmen der Psychoedukation geht es um die Vermittlung von Wissen über eine psychische Erkrankung, über ihre Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten. Ziel ist es, dass Patient:innen und Angehörige die Erkrankung besser verstehen und angemessener mit ihr umgehen können.
Bei Angststörungen sollten die Wechselwirkungen von Gedanken, Gefühlen und Verhalten (z.B. Vermeidung bestimmter Situationen) sowie der „Teufelskreis der Angst“ (Margraf & Schneider. Panik: Angstanfälle und ihre Behandlung. Berlin: Springer, 1990) besprochen werden.

Angststörungen verstehen und bewältigen

Bei Angststörungen geht es u.a. darum, mit dem Gefühl der Angst adaptiver umzugehen, d.h. die Angst nicht zu unterdrücken oder zu vermeiden, sondern anzunehmen, automatische Gedanken und sog. „Denkfallen“ zu erkennen und Vermeidungsverhalten zu verringern. Biographische Lernerfahrungen sollten dabei berücksichtigt werden (Barlow, 2004, In: Boettcher et al. Das Unified Protocol zur Behandlung emotionaler Störungen. Psychotherapeut 2018; 63: 182-187).
Hilfreich ist es, mit den Patient:innen ein individuelles Störungs- oder Erklärungsmodell zu erarbeiten, in dem bio-psycho-soziale und biographische Einflüsse zum Tragen kommen und zudem die Funktionen der Angst und des Vermeidungsverhaltens verstehbarer werden.

Exkurs: Der Teufelskreis der Angst erklärt, was psychophysiologisch bei Angst und Panik passiert: Die Wahrnehmung von Körperempfindungen (z.B. Herzklopfen) wird von der Person als Gefahr eingeschätzt („Ich bekomme einen Herzinfarkt“), was zu einem Gefühl der Angst führt. Dieses Angstgefühl wiederum löst eine Aktivierung des autonomen sympathischen Nervensystems aus, begleitet von körperlichen Symptomen wie Schwitzen oder einem Blutdruckanstieg. Die Wahrnehmung dieser körperlichen Veränderungen erhöht die Angst.

¹ Behandlung-von-Angststoerungen_2021-06.pdf

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