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Die ganze Welt ist eine Bühne

Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler

Grundlegende Orientierung meiner theatertherapeutischen Arbeit im Klinikum Schloss Lütgenhof - Ludwig-Christian Glockzin

„Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler“ - so hat es bereits vor mehr als 400 Jahren William Shakespeare in seiner Komödie Was ihr wollt gesehen. Diese Sicht findet sich auch in vielen Wissenschaften wieder - in der Philosophie, Soziologie und Kommunikationstheorie: Wir alle sind RollenspielerInnen auf der Bühne des Lebens.

Was ist Theatertherapie?

Die Theatertherapie ist eine künstlerische Therapie (wie z.B. Musik-, Kunst- und Tanz-therapie), die die verwandelnde Kraft des Theaters zu psychotherapeutischen Zwecken nutzt. Für sieben PatientInnen stehen am Vormittag 100 Minuten Theatertherapie bei mir auf dem Therapieplan. Zu Beginn der Einheit heiße ich alle herzlich willkommen und gebe zur Orientierung folgende kurze Informationen: Spielen lässt sich nicht verordnen, eine wichtige Grundvoraussetzung für das Spielen ist die eigene, freie Entscheidung; ich bitte alle MitspielerInnen darum, sich keine Mühe zu geben, nichts richtig machen zu wollen; ich ermutige sie, sich spielend auf offene Situationen einzulassen, etwas auszuprobieren: sie können gar nichts falsch machen, jede Erfahrung ist ein Gewinn; ich weise darauf hin, dass es im Spiel nicht darum geht, etwas zu verstehen, sondern darum, etwas zu erleben, zu spüren, zu empfinden.

Empfinden definiert der Neurologe, Psychologe und Philosoph Erwin Straus als eine „Weise lebendigen Seins“. Er fordert, dass der lebendige, leibliche Mensch in den Mittelpunkt der psychologischen Betrachtung und Untersuchung gestellt werden muss. Genau das ist erklärtes Ziel der Personalen Medizin: nicht die Krankheit zu behandeln, sondern den lebendigen Menschen als je Einzelnen mit vielen seiner Facetten zu diagnostizieren und zu behandeln. Vor allem der spielerische, handlungs- und körperorientierte Ansatz und die Betonung des Erlebens und des Ausdrucks erschließen neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten, ermöglichen Zugänge zu Emotionen, die weit über die verbale Ebene hinausgehen.

„Ich denke, also bin ich“

Der Neurologe António R. Damásio hat den philosophischen Grundsatz „Ich denke, also bin ich“ mit neuropsychologischen Untersuchungen in Frage gestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen: „Ich fühle, also bin ich.“ Für ihn steht fest, „dass das, was eine Person definiert, einen Körper braucht, und dass ein Körper einen Geist hervorbringt. Der Geist ist so vollständig auf den Körper zugeschnitten und so ausschließlich dazu bestimmt, ihm zu dienen, dass nur ein einziger Geist in ihm entstehen kann. Kein Körper, kein Geist.

Zurück zur Gruppenstunde

Ich frage die SpielerInnen: „Wie geht es Ihnen heute Morgen, im Moment?“ Doch bevor jemand eine verbale Antwort geben kann, bitte ich alle, es mir nicht zu sagen, sondern es zu zeigen: aufzustehen und durch den Raum zu gehen. Die Frage ist ja auf den Körper bezogen - ich gehe so, wie ich mich gerade fühle: belastet - entspannt - müde - wach - traurig - beschwingt - verunsichert - selbstsicher - gedankenverloren - aufmerksam… Oftmals ist es eine Mischung unterschiedlicher Gefühle, die meinen Gang bestimmen. Natürlich spielen auch Gedanken eine Rolle, aber der Focus verlagert sich vom Kopf auf die Füße, vom Denken auf das Empfinden.

Nachdem die SpielerInnen „in Gang gekommen“ sind, gebe ich einen Gymnastikball in die Gruppe und bitte sie, sich diesen Ball zuzuspielen, ihn aber zuvor kraft ihrer Vorstellung zu verändern, ihm eine andere Eigenschaft zu geben: der Ball ist glühend heiß. Alle steigen sofort in das Vorstellungsbild ein und beginnen, mit vollem Engagement „heißer Ball“ zu spielen. Der Ball wird mit möglichst wenig Berührung weitergeworfen, der Atem wird hörbar, pustend oder auch einziehend, Laute wie „au“ oder „eijeijei“ oder „puh“ füllen den Raum, die SpielerInnen kommen mit dem ganzen Körper in Bewegung.

Ich zitiere noch einmal Erwin Straus: „Im Empfinden und Bewegen ist uns also überhaupt erst die Möglichkeit zur Welt-Habe gegeben. Indem ich Welt habe, kann ich mit ihr umgehen, d.h. ich kann sie mir einverleiben, kann sie nach meinen Vorstellungen formen, kann in ihr handeln. Empfindend und mich bewegend bin ich aber auch mir gegeben. Darin werde ich meiner gewiss.“

Der „heiße Ball“ ist ein Spiel, das aber sinnlich spürbar und zugleich eindrücklich sichtbar eine neue Wirklichkeit schafft. In der anschließenden kurzen Befragung, was die SpielerInnen gerade empfunden und wahrgenommen haben, stellen ausnahmslos alle überrascht fest, dass sie „wie von selbst“ im Spiel waren und „bedenkenlos“ miteinander gespielt haben. Einige beschreiben, dass sie sich sehr lebendig und „wie befreit“ gefühlt haben. Aus dem „Ernst des Lebens“ entwickelt sich unversehens das „Spiel des Lebens“.

„Der Mensch, der spielt, ist der Mensch, der lebt“.

Für den amerikanischen Schauspieler und Schauspiellehrer Lee Strasberg, der Hollywood-Stars wie James Dean, Marilyn Monroe, Marlon Brando, Dustin Hoffman, Robert De Niro und viele andere unterrichtet hat, stand fest: „Der Mensch, der spielt, ist der Mensch, der lebt“.

Spiel steht der strategischen Nutzung entgegen, eine Instrumentalisierung widerspricht dem Wesen des Spiels. Das Spiel entfaltet aus sich selbst heraus multidimensionale Aspekte, die für die Entwicklung der Persönlichkeit entscheidende Impulse geben können.

Das gilt auch grundlegend für meine theatertherapeutische Arbeit im Klinikum Schloss Lütgenhof. Wirkliche Kreativität ist immer offen: Sie ist im eigentlichen Sinne Problemfindung, nicht in erster Linie das Suchen nach Lösungen für Probleme. Auch im therapeutischen Kontext ist Schauspiel- und Theaterarbeit als künstlerischer Prozess zu verstehen, der Impulse für die eigene Lebensgestaltung im Sinne von Lebens-Kunst geben kann.
Schöpferische Arbeit ist - so möchte ich es formulieren - Grundlagenforschung in einer Situation der Krise, in der der Spielraum weder durch Gewohnheiten noch durch eigene oder fremde Hypothesen (Diagnosen) von vornherein begrenzt wird. Kunst in diesem Sinne ist „Krisenlust“: Der schöpferische (Selbst)-Entwicklungsprozess entfaltet sich in der Spannung zwischen Versuch und Irrtum.

Die Atmosphäre dafür zu schaffen, dass die PatientInnen den Mut und die Lust haben, sich auf offene, unsichere (Spiel)-Situationen einzulassen, sich spielend der Selbstoffenbarungsangst zu stellen, ist eine grundlegende Voraussetzung für eine inspirierende Selbst- und Welterfahrung.

Besserung oder Stabilisierung hinsichtlich einer Krankheit oder Krise ist ein holistischer Prozess. Wir versuchen Felder und Situationen zu schaffen, in denen sich die Selbststabilisierungskräfte entfalten können. Diese Öffnung entsteht durch Erleben / Empfinden und wahrnehmendes Erkennen.

Jetzt bin ich wieder ganz im Augenblick der morgendlichen Therapiestunde: Der „heiße Ball“ verwandelt sich in einen „schwebend-leichten“ Ball, einen Luftballon oder sogar eine Seifenblase. Die PatientInnen zeigen diese Leichtigkeit über ihren körpersprachlichen Ausdruck und ihre Spielfreude. Der Arzt und Dramatiker Arthur Schnitzler war der Ansicht: „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug“.

Ludwig- Christian Glockzin
Schauspieler (Dipl.) - Regisseur - Dozent für Schauspiel - Dipl. Soz.-Päd.

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