Anita Oefinger
Wenn ein Mensch von uns geht, meinte der österreichische Dichter und Dramatiker Hugo von Hofmannsthal vor etwa einhundert Jahren, nimmt er ein Geheimnis mit sich: Wie es ihm, gerade ihm – im geistigen Sinn zu leben möglich gewesen sei. Und ich ergänze: Wie es ihm, gerade ihm daneben auch im körperlichen, seelischen und sozialen Sinne möglich war, so und nicht anders zu existieren.

Im März dieses Jahres ist Anita Oefinger gestorben, und wenn wir den Gedanken Hugo von Hofmannsthal für bare Münze nehmen, hat auch sie ein Geheimnis mit sich genommen, nach welchem Daseinsgesetz sie ihr Leben ausgerichtet und schlussendlich gestaltet hat. Da ich im Klinikum Schloss Lütgenhof zu jenen zähle, die Frau Oefinger mit am längsten gekannt und wertgeschätzt haben, komme ich gerne der Aufgabe nach, einige Zeilen über sie, ihren Lebensstil und ihre Existenzbewegung zu verfassen – ohne Anspruch allerdings, damit ihr „geheimes Daseinsgesetz“ ganz lüften zu können oder zu wollen.
Beim Ableben eines uns nahen Menschen wird uns oftmals gewärtig, dass jedes Dasein begrenzt ist, sein Rand vom Nichts und vom Tod gesäumt wird und der Imperativ unserer Existenz darin besteht, die Spanne des Lebens so lange und intensiv wie möglich mit Sinn- und Wertvollem zuzubringen – die einzig produktive Antwort auf die Tatsache unseres Begrenzt-Seins. Eben eine solche Antwort hat Anita Oefinger auf beruflicher Ebene über fünf Jahre lang im Rahmen unserer Klinik erfolgreich formuliert.
In ihrer Funktion als Bibliotherapeutin ebenso wie mit der Art und Weise ihres Mitmensch-Seins hat Frau Oefinger sowohl die Patienten als auch uns Mitarbeitende außerordentlich reich beschenkt. Das Lesen, Vorlesen, Bedenken und Besprechen von Literatur und ähnlich auch das Verfassen eigener Texte war für Anita Oefinger nämlich stets mit der Suche nach Sinn, Wert und Bedeutung verknüpft – und oft genug kamen bei dieser Suche zur Freude aller Beteiligten funkelnde Sinn-Partikel zutage.
Es machte wohl einen wesentlichen Paragraphen im Daseinsgesetz von Anita Oefinger aus, über ein verlässliches Sensorium im Hinblick auf Sinn, Wert und Bedeutung zu verfügen, das es ihr ermöglichte, bei allem Sinnwidrigen der Welt immer wieder auch das Schöne, Gelingende, Harmonische und Zukunftsheischende bei Menschen und ihrer Kultur wahrzunehmen und wertzuschätzen. Damit transponierte sie einen Gedanken Goethes in ihre konkrete Lebenswelt, der einmal meinte: Willst du dich deines Wertes freuen, so musst der Welt du Wert verleihen.
Ein erheblicher Teil der heiter-zuversichtlichen Welt- und Lebensanschauung Anita Oefingers speiste sich aus einem dergestalten Selbstverständnis, das in aller Regel den anerkennenden Blick auf ihre Mitmenschen miteinschloss. Damit wurde sie zu einer ausgezeichneten Mitspielerin im großen Spiel des Daseins – ein Spiel, das sie meist sichtlich genossen und dessen Spielregeln sie bisweilen sogar mitgestaltet hat.
Kommentare
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15.04.2025 19:05antworten
Ein für mich großartiger Mensch ist an einen anderen Ort gegangen und wird dort weiterhin viel Gutes vollbringen.
Ich durfte Frau Oefinger im Sommer 2022 kennenlernen und habe ihren einzigartigen Umgang mit Sprache und Worten sehr zu schätzen gelernt. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich meine Worte und Sprache wieder entdeckt habe und damit auch mich selbst.
Ich danke ihr sehr dafür.
Allen mit ihr Verbundenen wünsche ich viel Kraft für die kommende Zeit der Trauer.
Herzliche Grüße
Karin Pätzold -
16.04.2025 14:15antworten
Sehr geehrte Frau Pätzold, vielen Dank für Ihre einfühlsamen Zeilen, die mich und uns sehr freuen. Dass Sie und wie Sie Frau Oefinger in Erinnerung behalten haben, kann ich sehr gut nachvollziehen. Mit herzlichen Grüßen, Professor Danzer.
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