5. Klinikgeburtstag
Jameda Patientenbewertungen

5. Klinikgeburtstag

Prof. Dr. med. et phil. G. Danzer - Ärztlicher Direktor
Prof. Dr. med. et phil. G. Danzer Ärztlicher Direktor

Wenn ich heute auf unseren Anfang im Herbst 2019 zurückblicke, geht es mir wie wohl vielen von Ihnen: kaum zu glauben, dass ein ganzes Jahrfünft vergangen ist; und kaum zu glauben, was in diesen fünf Jahren entstanden ist. Die Klinik, die Medizin, die Hauswirtschaft, die Hausmeisterei, die Verwaltung, das Patientenmanagement, das Marketing, der Park, das Chalet und Roncalli, der Zirkuswagen, das gegenseitige Sich-Kennen-Lernen, das Aufspüren und Überwinden von Konflikten, das Sich-Verschränken mit den Schicksalen von inzwischen über 1000 Patientinnen und Patienten, unsere eigenen Krisen und Unzulänglichkeiten, das Erobern von allfälligen Kooperations-Partnern, die wirtschaftlichen Hürden und Herausforderungen, die Etablierung einer Tagesklinik, einer Ambulanz, eines Neubaus – und viele dieser für ein Startup-Unternehmen ach so typischen Themen unter den zwischenzeitlich ziemlich verschärfenden Bedingungen einer Pandemie!

Die Bedeutung von Menschen und Momenten: Reflexionen über die Entwicklung unserer Klinik und die Kraft des gemeinsamen Handelns

Beim Blick zurück frage ich mich, welche dieser Ereignisse und Entwicklungen und welche der handelnden Personen besonders wichtig waren und deshalb heute benannt werden sollten. Waren es die Momente des glücklichen Gelingens, der Erfolge und kleinen Triumphe – oder waren es die Phasen von Erschütterung und krisenhaften Zuspitzungen, die uns zusammenwachsen ließen? Waren und sind es jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns seit Anfang an die Treue halten – was für eine großartige Haltung und Tat –, oder haben nicht auch viele von denen, die erst kürzer bei uns sind oder die uns (aus welchen Gründen auch immer) irgendwann während der letzten fünf Jahre wieder verließen, wesentlich zu unserem Milieu, unserer Identität, zu unserem Profil und damit zum Bestehen unserer Klinik beigetragen?

Denn von Anfang an war und bin ich überzeugt, dass Personale Medizin nur gelingt, wenn alle – von den Hausmeistern bis zu den Co-Therapeutinnen, vom Zimmer-Service bis zu den Ärztinnen und Ärzten, von den Kreativtherapeutinnen und -therapeuten bis zum Wachdienst, von der Rezeption bis zu den Psychologinnen, von der Verwaltung über das Patientenmanagement und das Marketing bis hin zur Hauswirtschaft und den Köchen, den Praktikantinnen, den Sekretärinnen und den körperzentriert arbeitenden Therapeutinnen, den Gesellschaftern und den Geschäftsführern – wenn wirklich alle sich mit ihren unterschiedlichen Funktionen als gleich wesentlich für die Atmosphäre, das Milieu und die professionelle Qualität unserer Klinik begreifen und erleben.

Diejenigen, die am ehesten entscheiden können, ob es uns in den letzten Jahren gelungen ist, uns als Team immer wieder dem Ideal einer humanen, mitmenschlichen Medizin und dem dafür notwendigen Milieu anzunähern, sind unsere Patientinnen und Patienten. Bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen waren sie mit uns zufrieden – sie erzählen uns dies entweder direkt; oder diese Bewertung spiegelt sich in den Ergebnissen unserer Fragebögen wider; oder Wochen nach ihrer Entlassung geben sie ihr Urteil über uns im Internet ab.

Die Bedeutung der Zahl Fünf: Von den Big Five der Persönlichkeitspsychologie bis zur Anwendung in unserer Klinik

Wenn ich also im Rückblick auf die letzten Jahre keine Namen und Ereignisse gesondert heraushebe, so will ich doch ein konkretes Faktum benennen, das mir erwähnenswert scheint: Es ist dies die Zahl fünf. Damit will ich mich nicht verdächtig machen, ein Anhänger der Komplexen Psychologie C.G. Jungs zu sein. Für ihn bedeuteten Zahlen wichtige Möglichkeiten der Ordnung und des Brückenschlags zwischen Bewusstem und Unbewusstem, und dementsprechend verfasste er größere Abhandlungen zu den Zahlen drei und vier – allerdings keine größere Abhandlung zur Zahl fünf.

Ohne in die Fußstapfen C.G. Jungs treten zu wollen, muss ich doch konstatieren, dass die Zahl fünf im menschlichen Leben eine prominente Rolle spielt: Wir kennen die fünf Finger und die fünf Sinne (inzwischen sind es mehr geworden), die Fünftagewoche und (für manche Parteien recht schmerzlich) die Fünf-Prozent-Hürde. Einige irische Lyriker verfassen gerne sogenannte Limericks, also fünfzeilige Gedichte; Franz Schubert komponierte das Forellenquintett, und der Jazzmusiker Dave Brubeck wurde bekannt mit seinem Stück Take Five im Fünf-Viertel-Takt. Sprichwörtlich kennen wir Formeln wie „Fünf vor Zwölf“ oder „alle Fünfe grade sein lassen“, und wenn wir uns bei einem Termin mächtig verspäten, sprechen wir wie die Deutsche Bahn bagatellisierend von fünf Minuten Verzögerung. Zu guter Letzt kennen manche von uns die Fünf-Minuten-Terrine.

Worauf ich jedoch im Zusammenhang mit unserer Klinik abziele, ist ein Konstrukt aus der Persönlichkeitspsychologie, von dem manche von Ihnen wohl schon einmal gehört haben: die Big Five, also die großen, wichtigen fünf Persönlichkeits-Dimensionen, mit deren Ausprägungsgrad einzelne Personen beschrieben werden können, und die seit den entsprechenden Studien von Gordon Allport und anderen benannt sind mit:

  • Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit),
  • Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus),
  • Extraversion (Geselligkeit; Extravertiertheit),
  • Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie) und
  • Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit).

Ich finde, dass diese fünf Faktoren und die dazugehörigen Begriffe nicht nur für die Charakterisierung einzelner Individuen, sondern beinahe ebenso gut auch auf unsere Klinik anwendbar sind. Deshalb kurz einige Erläuterungen zu den Begriffen, von denen Sie selbst entscheiden, wie sehr die jeweiligen Inhalte auf uns zutreffen.

Offenheit

Unter Offenheit versteht man in der Persönlichkeitspsychologie Menschen mit hohem Interesse für Kunst, Wissenschaft und Kultur, für Politik und Zeitgeschehen sowie für Neues und Fremdes. Sie imponieren neugierig, erfinderisch, aufgeschlossen und wagemutig. Als Klinik und Unternehmen haben wir uns bisher meistens als „offene Gesellschaft“ (Popper) erwiesen, und es steht uns gut zu Gesicht, dies auch zukünftig zu bleiben: offen für Neues, für Wissenschaft, Kunst und Philosophie, für Politik und Kultur.

Gewissenhaftigkeit

Diese Dimension fasst Eigenschaften wie Selbstdisziplin, Genauigkeit, Ordnungsliebe und Zielstrebigkeit zusammen. Verantwortlichkeit, Zuverlässigkeit, Effektivität und Planung sind weitere Merkmale von Menschen mit hohen Ausprägungen hinsichtlich der Gewissenhaftigkeit. Zwar muss ich zugeben, dass hinsichtlich der Ordnungsliebe und der damit assoziierten Frage, wie so manche Kaffeetassen von Mitarbeitern aus den jeweiligen Büros ihren Weg zur Spülmaschine finden, bisweilen noch Luft nach oben besteht. Aber darüber hinaus will und kann ich mir Medizin und Pflege, Psychologie und Psychotherapie, Kreativtherapien und körperzentrierte Verfahren, Verwaltung, Technik und Hauswirtschaft, Sekretariate und Marketing und Patientenmanagement und mindestens so sehr auch unsere Küche ohne den Grundzug der Gewissenhaftigkeit schlechterdings nicht vorstellen.

Extraversion

Dem Begriff der Extraversion wird in der Regel derjenige der Introversion gegenübergestellt. Mit dem ersteren Begriff beschreibt man gesellige, optimistische, aktive, gesprächige, an anderen Menschen orientierte, herzliche, heitere Personen. Introvertierte Individuen hingegen bevorzugen oft eine ruhige Umgebung wie z.B. die eigene Wohnung, Bibliotheken, Parks, Wälder. Sie genießen das Alleine-Sein, den Rückzug oder – wie Aby Warburg es einmal ausgedrückt hat – den „Denkraum der Besonnenheit“ – vor allem, wenn es sich um nachdenkliche, sensible, tief in eine Materie eintauchende und nicht nur um schüchterne Introvertiertheit handelt. Bei aller Sympathie für Extraversion und für extravertierte Personen schätze ich die Qualitäten unserer Klinik besonders auch in jenen Momenten, in denen sich solche Denkräume der Besonnenheit sowie parallel dazu Mußezeiten des punktgenauen Fühlens ergeben.

Verträglichkeit

Verträgliche Menschen begegnen anderen mit Verständnis, Wohlwollen und Mitgefühl. Sie neigen dazu, anderen zu helfen, und entwickeln so die Haltung des Altruismus. Zwischenmenschliches Vertrauen, Kooperationsfähigkeit, Nachgiebigkeit, Empathie sind weitere Charakteristika jener Einstellung, die der russische Edel-Anarchist Fürst Peter Kropotkin in seinem Buch über Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt bereits 1902 ausführlich erläutert hat. Weil ich mir keine Humanmedizin vorstellen kann und mag, die ohne ein immens hohes Maß an Altruismus und Empathie, Interesse am individuellen Mitmenschen und Barmherzigkeit auskommt, empfinde ich unsere Klinik durchaus in der Denk- und Fühl-Tradition Peter Kropotkins platziert.

Neurotizismus

Dieser Begriff ist sicherlich der problematischste der Big Five. Hohe Ausprägungsgrade in dieser Dimension bedeuten eine merkliche Tendenz zu Angst, Nervosität, Anspannung, Unsicherheit und Verlegenheit. Heutzutage würden wir diesen Faktor eher als emotionale Labilität respektive Stabilität bezeichnen, wobei ich mir für unsere Klinikmitarbeiter auch zukünftig möglichst niedrige Werte für Anspannung, Angst und Unsicherheit wünsche. Relative Angstfreiheit und Sicherheit bei uns allen bedeuten emotionale Grundvoraussetzungen, um Patienten erfolgreich behandeln zu können; und sie entstehen, wenn zwischen allen Akteuren verlässlich kommuniziert wird und wenn alle diese Akteure möglichst häufig personal präsent sind.

Von einem Licht ins nächste

Der Barockdichter Angelus Silesius schrieb vor Jahrhunderten: „Freund, so du etwas hast oder bist, / so bleib doch ja nicht stehn; / du musst aus einem Licht / fort in das nächste gehn.“ Damit plädierte er für eine Haltung dem Leben gegenüber, die wir in unserer heutigen Terminologie als offene, entwicklungsfreudige und dynamische Persönlichkeitsmerkmale charakterisieren.

Ich meine, dass man bei Angelus Silesius das Wort Freund problemlos mit dem Wort Klinik austauschen kann und darf. Nicht nur Einzelne von uns, sondern wir alle als medizinale Einrichtung und als Unternehmen dürfen und müssen von einem Licht in das nächste gehen. Nicht alles, was uns vor vier oder fünf Jahren an Wünschen, Entwürfen und Vorstellungen auszeichnete, ist Wirklichkeit geworden: ein Kindergarten für Personale Pädagogik wartet ebenso wie die Publikation zur Praxis der Personalen Medizin auf Verwirklichung. Anderes wieder glückte überraschend schnell und erfolgreich – vom großartigen Neubau, der Villa Stepenitz, über die Zusammenarbeit mit Universitäten bis hin zur Integration vieler neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ein Team, das ich bei allen gelegentlichen Holprigkeiten und Unebenheiten immer wieder als ein symphonisches Orchester erlebe, das die Partitur der Personalen Medizin mit hoher Brillanz zelebriert.

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Kommentare

  • Andrea Falk
    02.10.2024 22:05

    Glückwunsch zum 5jährigen Klinikgeburtstag und weiterhin viel Erfolg!

    antworten
    • Klinikum Schloss Lütgenhof
      13.11.2024 10:35

      Vielen herzlichen Dank für die Glückwünsche, Frau Falk.

      antworten
  • Michael G. aus Köln
    10.11.2024 11:55

    Gratulation und Glückwunsch zu dieser "schönen" Erfolgsgeschichte. Und WOW: was für Worte. Kompliment an den Autor. Ich kann nur jedes Wort teilen. Seneca hat es mal so beschrieben: „Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben. Es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen“. Zum Thema Zeit und Wohlbefinden konnte ich in Ihrer Klinik viel lernen. Vielen Dank für diese Erfahrung. Alles Gute für die nächsten 5 Jahre.

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    • Klinikum Schloss Lütgenhof
      13.11.2024 10:35

      Herzlichen Dank – dieses Kompliment geben wir natürlich sehr gern weiter und bedanken uns für den Impuls Ihrerseits.

      antworten

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